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Der Teppichweber

In einem Lande schickte der Padischah gewöhnlich seine Leute aus, die Gespräche zu belauschen, die in der Stadt geführt wurden. Der Padischah aber hatte einen guten Wesir. Eines Nachts streifte der Wesir wachsamen Ohres durch die Stadt und vernahm plötzlich die Stimme eines Mannes. Der Wesir dachte: Was mag das bedeuten?, ging näher und sah, wie in einem alten Haus ein Mann saß und einen Teppich webte.
Der Mann webte den Teppich und sprach mit Tränen in der Stimme: "O meine Zunge, tausendmal flehe ich dich an, stürze mich nicht ins Unglück!"
Und so webte er Nacht für Nacht an dem Teppich und flehte seine Zunge an.
Das muß doch eine Bedeutung haben, dachte der Wesir und ging nun jede Nacht zu dem Haus und lauschte.
Der Mann aber verstand sehr kunstvoll zu weben. Niemand auf der Welt vermochte so zu weben wie er.
Eines Tages hatte er den Teppich fertig und trug ihn zum Verkauf auf den Basar. Und wirklich gab es keinen prächtigeren Teppich auf dem Basar als diesen.
Einer aber, der das beobachtet hatte, eilte zum Padischah und sagte: "O mein Schah, soeben bietet ein Mann einen überaus schönen Teppich feil. Einen solchen Teppich hat es auf dem Basar noch nie gegeben, und er nähme sich nirgends besser aus als in deinem Hause. Ich bin zu dieser Meinung gelangt und bin gekommen, dir davon zu berichten."
"Geh und rufe den Mann zu mir!" befahl darauf der Padischah, Jener ging und sagte zum Teppichweber: "Dich ruft der Padischah!"
Der Teppichweber erschien beim Padischah.
Als dieser den Teppich sah, war er erstaunt und fragte: "Wieviel kostet er?"
Der Mann nannte seinen Preis, der Padischah zahlte das Geld und erwarb den Teppich. Der Teppichweber entfernte sich, um seinen Geschäften nachzugehen, der Padischah aber rief seine Wesire und Wekile und sagte: "O meine Leute, heute habe ich einen wundervollen Teppich gekauft! Nun aber ratet mir, wie ich ihm am besten verwende."
Sie gaben ihm allerhand Ratschläge. Nur der kluge Wesir schwieg.
Da sagte der Padischah: "O Wesir, jeder der Anwesenden hat mir einen Rat erteilt, nur du sprichst kein Wort."
"O mein Schah", entgegnete der Wesir, "ich wollte dies sagen: Laß den Mann rufen, der den Teppich gewebt hat, und seinen Rat erfragen. Er weiß besser als wir, wie man den Teppich verwendet."
Der Padischah billigte die Worte des Wesirs. Er ließ den Teppichweber rufen und fragte ihn: "O Mann, du hast den Teppich gewebt, und wir haben ihn gekauft. So sage uns, wie man deinen Teppich am besten verwendet."
Und der Mann antwortete: "O mein Schah, wenn du stirbst, möge man auf diesem Teppich das Sterbegebet lesen. Es ist am besten, diesen Teppich nur dazu zu verwenden, und bis dahin lege ihn fort."
Die Antwort des Teppichwebers brachte den Padischah in Zorn. Er rief die Henker und befahl: "An den Galgen mit ihm!" Aber da wandte sich der kluge Wesir an den Padischah: "O mein Schah, ich bitte dich sehr: Vergib diesem Mann. Es ist mit ihm nämlich folgendes: Als ich eines Nachts durch die Stadt ging, hörte ich eine Stimme. Ich trat näher und sah einen Mann, der einen Teppich webte und unter Tränen seine eigene Zunge anflehte: ‚O meine Zunge, ich flehe dich an, bringe mir kein Unglück über mein Haupt!‘ Und so ging ich jede Nacht hin und belauschte den Mann und kehrte erst im Morgengrauen heim. Gegen eine ungebärdige Zunge gibt es kein Mittel, alles Geschick des Menschen hängt von der Zunge ab. Begnadige ihn."
Der Padischah willigte ein und sprach den Teppichweber frei. Der kehrte nach Hause zurück, machte sich wieder an die Arbeit und fuhr fort, seine Zunge weinend anzuflehen, sie möge ihn nicht ins Unglück stürzen. Seither pflegt der Wesir zu sagen: "Wenn du nicht weißt, was deine Zunge spricht, ist es ein großes Unglück. Dann ist es besser, stumm zu sein."


Aus "Der Schlangenschatz", Turkmenische Märchen



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